Philipp Jenninger und der 50. Jahrestag der Reichspogromnacht

jenninger_19881109Hagen – Im Auditorium des Hagener Kunstquartiers hält Professor Dr. Constantin Goschler von der Ruhr Universität Bochum am 7. November um 19 Uhr einen spannenden Vortrag zum Thema „Philipp Jenninger und der 50. Jahrestag der Reichspogromnacht“ ab: Die Jahrestage zur Reichspogromnacht gehören zu den schwierigsten Herausforderungen der politischen Kultur der Bundesrepublik Einerseits drohen sie in Ritualisierungen zu erstarren, andererseits droht Ungemach, sofern die öffentliche Rede Grenzen des Sagbaren überschreitet. Der Vortrag erörtert diese Zusammenhänge anhand der Auseinandersetzung um die berühmte Rede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht 1988. Diese Rede führte zu einem Sturm der öffentlichen Entrüstung, worauf Jenninger innerhalb eines Tages von seinem Amt zurücktrat. Nach gründlicher Lektüre des Redetextes erfolgte jedoch meist ein ernüchtertes Augenreiben, und die nachträgliche Bewertung des Vorgangs rückte ihn oftmals gar in die Nähe eines Opfers eines künstlich geschürten Medienskandals.

Die zeitgenössischen Deutungen des Skandals waren meist deutlich polarisiert: Am einen Ende stand die Interpretation der Jenninger-Rede als missglückter Versuch, die Juden in die Rolle von Gehilfen bei der Wiederherstellung einer auf Versöhnung begründeten und positiv besetzten nationalen deutschen Identität zu drängen. Am anderen Ende der Skala stand dagegen die Interpretation Jenningers als eines mutigen Propheten, der den Deutschen einen kritischen Spiegel vorgehalten habe und dafür – sei es von den Protagonisten einer linken Vergangenheitsbewältigungskultur, sei es von denen einer positiven nationalen Identität – abgestraft worden sei. In diesen konträren Deutungen, in denen die politischen Frontlinien der 1980er Jahre deutlich zu erkennen sind, erscheint Jenninger somit einerseits als Sünder, andererseits als Sündenbock.
Um den Fall Jenninger zu verstehen, reicht es somit nicht aus, sich allein auf Jenningers Person und seine Intentionen zu beschränken. Vielmehr wird dieser Vortrag die Frage nach den Mechanismen der Skandalisierung diskutieren: Gegen welche öffentlichen Normen der Thematisierung der nationalsozialistischen Judenverfolgung verstieß Jenninger bei seiner Rede? Inwiefern bestätigten oder verschoben sich diese Normen durch den Jenninger-Skandal? Und wie verhielt sich dies zu den vergangenheitspolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik?
Der „Fall Jenninger“ führt somit in das Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung in der alten Bundesrepublik: Im Kern geht es dabei um die Frage nach der angemessenen Form des öffentlichen Gedenkens an die nationalsozialistische Judenverfolgung. Auf diese Weise will dieser Vortrag die Nachgeschichte der Reichspogromnacht in der Bundesrepublik kritisch würdigen. Der Vortrag wird unterstützt und gefördert durch den Verein Pro Stadtgeschichte Hagen e.V. Der Eintritt ist frei.

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